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Nairobi, die sanfte Stimme der Gefahr

Geschrieben und illustriert
Maielin van Eilum

 

Ich habe ein Talent für naive Ideen. Eine kam mir auf dem Rückflug von Dar Es Salaam. Mir fiel auf, dass ich in Nairobi zu viel Zeit hatte, um mich am Gate zu langweilen.

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Wie ein Theatervorhang öffneten sich die gläsernen Türen des Flughafens. Ein Heer von Taxifahrern starrte mich verblüfft an. Ich rief ihnen zu, dass ich in die Innenstadt möchte. Preise prasselten auf mich ein, sie wurden immer niedriger. Als jemand 8,- Dollar schrie verstummten die Männer. Es war ein junger Fahrer, Anfang zwanzig, so wie ich. Er hatte auffällig breite Schultern, wirkte mehr wie ein Sportler. Wir waren uns sympathisch und gingen lachend bis zum Ende des Parkplatzes. Er verstand, was ich vorhatte: Mittag essen und wieder zurück zum Flughafen.

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Ich mochte sein Auto, ein Black Cap aus London, allerdings in keinem guten Zustand. Der Wagen fuhr überraschend schnell und von der Decke hingen hunderte Marien und Jesus Bilder. Er war gesprächig, erzählte von den vielen Staturen und Regierungsgebäuden seiner Stadt, die alle wollte, er mir zeigen, für 80,- Dollar und mich dann am Flughafen wieder abliefern.

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Über meine Höflichkeiten ging er hinweg. Sein Ehrgeiz wurde immer aggressiver, ich bin ein sehr ausgeglichener Mensch, mich wütend zu machen, ist ausgesprochen schwierig. Aber wir erreichten den Punkt, wo wir uns anschrien. Danach brach eisiges Schweigen aus.

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Ich konnte die Eiszapfen sehen, die von den Heiligenbildern herunter wuchsen. Ich schaute aus dem Fenster, staubige Siedlungen, von Highways durchschnitten.

Er hielt zwischen heruntergekommenen Bürogebäuden. Massen von Angestellten strömten in die Mittagspause, durch geknallte Straßenkinder rannten schreiend über die Kreuzung, lachende Geschäftsfrauen glitten an meinem Fenster vorbei. Eine Wolke destruktiver Gewalt, in so hoher Konzentration, wie ich sie noch nie gespürt hatte, hing über diesem lebendigen Platz.

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Eine innere Stimme sagte mir: „Ich steige aus diesem Taxi nicht aus.“ Es gab dafür keinen Grund, aber ich wußte, dass ich keine hundert Meter gehen kann, ohne zu sterben. Ich sang in den Sitz und legte mir zurecht, wie ich meinem Fahrer das erkläre. Aber die Worte kamen nicht über meine Lippen. Ich schämte mich und er klammerte sich wütend an sein Lenkrad.

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Es müssen um die zehn Minuten vergangen sein, als er sich umdrehte:

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 „Do you like local food?“

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„Sure, what ever that means.“

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Als ich später in New York studierte, erinnerte mich das an Nairobi, die beide Städte haben die gleiche Hektik, nur in New York mit weniger Menschen. Wir kamen zurück zu den Highways. Die Häuser veränderten sich zu Wellblechhütten. Wieder war es mein Instinkt, der mich irritierte. In vielen Ländern sind Taxifahrer in sadistische Gruppen-Vergewaltigungen, Raube und Morde verwickelt. Was ich hier tat war geisteskrank. Aber mein siebter Sinn sah träumend aus dem Fenster. Der Fahrer hielt auf vermüllter Erde. Hinter einem kleinen Graben begann ein Meer selbstgebauter Hütten. Er stieg aus und schaute mich genervt durchs Fenster an.

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Ich führte einen inneren Dialog, wo ich mich selbst beleidigte, mir ging meine Handtasche durch den Kopf, ich hatte nicht nur mich dabei, sondern auch all meinem Geld, Kreditkarte, Flugticket, Reisepass und Kamera. Ein Telefon, aber ohne kenianische Sim-Karte. Ich wusste nicht, wo ich war, noch nicht mal in welcher Himmelsrichtung.

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Ich verstand es nicht ganz, im Centrum fanden meine Augen alles normal, aber mein Instinkt drehte durch. Nun sah alles putzgefährlich aus, aber meine Innere-Stimme wollte dem Mann folgen.

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Er schloss hinter mir ab, wir sprangen über den Graben und er bog in eine 50cm breiten Wellblechhütten-Gang. Überraschte Gesichter schauten mich von überall an. Die jungen waren von Träumen durchströmt, die älteren von Demütigung. Er ging schnell und nicht gut gelaunt. Immer tiefer führte er mich in dieses Labyrinth. Wir kamen in eine schmale Gasse mit handbemalten Schildern, ein Frisör und kleinen Geschäften. Er hielt an einer steinerden Terrasse, bunte Tücher schützten vor der Sonne. Es gab eine offene Küche und drei Plastiktische. Liebevoll war „Dish of the Day“ auf ein Brett geschrieben. Eine Frau mit erschöpften Zügen servierte uns eine pürierte Masse, gar nicht schlecht und ich war hungrig.

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Der Ort hatte etwas entspanntes, aus den Augenwinkeln beobachtete ich meinen Begleiter. Er aß schweigend.

Ich sah mich um, all das ergab keinen Sinn, Taxifahrer kennen Restaurants in der Innenstadt, Slumbewohner fahren nicht so ein Auto und dieses würde ich hier auch nicht parken.

Er wirkte, wie jemand der respektiert wird, nicht wie ein Krimineller, eher wie ein gradliniger, sanfter Mensch. Beim Kaffee fand er seine Sprache wieder:

„Und was hast du jetzt vor?“

Ich sah auf die Straße:

„Ganz ehrlich, ich bin erleichtert, dass es hier keine Staturen gibt.“

Ein Lachen schoss aus ihm heraus.

„Ich dachte sowas mögen Touristen.“

„Ja, Menschen machen so etwas, ich weiß nicht warum.“

„Ich heiße Manuel.“

„Maielin“

„Trinkst du Bier?“

„Ja, klingt gut.“

„Um die Ecke ist ein Laden.“

Er stand auf und bezahlte, mein Dollarschein winkte er ab.

Die Blechhütten waren improvisiert, aber auf eine Art gepflegt. Dazwischen immer wieder kleine Steinhäuser. Es wirkte nicht wie Gangland, die Sonne schein, Bewohner starrten mich verdutzt freundlich an. Und ich spürte Manuels Stolz.

Er zeigte auf eine kleine Baracke, eine ausgeblichene Werbung hing über der Tür. Nicht unweit saßen Jungs auf einem verschlissenen Sofa. Sie kamen amüsiert zu uns, schüttelten mir die Hand und redeten kichernd mit Manuel in einer Sprache, die ich nicht verstand. Sie begleiteten uns rein. Kauften Bier durch ein Gitter und lehnten mein Geld ab. Bevor ich Einspruch erheben konnte, machten sie etwas, was ich aus Tansania kannte. Sie öffneten ihre Brieftaschen und zeigten mir die Bilder ihrer Frauen und Kinder. Es schien normal zu sein, kaum aus dem Teenageralter raus zu sein und bereits drei Nachfahren zu haben.

Ich mochte dieses Bilderritual, es erlaubte mir mit fremden Männern eine entspannte Zeit zu haben, ohne dass es mit einem Flirt verwechselt wurde. Um unseren Tisch versammelten sich immer mehr Schaulustige, meine Anwesenheit schein sich rumgesprochen zu haben.

„Du fährst heute schon wieder?“ „Du bist gerade erst angekommen?“ „Du schaust dir Kenia gar nicht an?“ „Du warst sechs Wochen im scheiß Tansania?“ „Die Menschen da, sind bescheuert! Die helfen einander nicht, denen geht es nur ums Geld!“ „Wir sind nicht so wie die!“

Ich musste schmunzeln, auch im Nachbarland hatten sich Gettobewohner und Straßenkinder jedes Mal als sympathisch entpuppt und mit einem Selbstverständnis für meine Sicherheit gesorgt. Geld hatten sie immer abgelehnt: „Willkommen in Tansania! Wir sind hier nicht so wie die Menschen in Kenia. Die helfen einander nicht. Die denken nur über Geld nach. Kenia ist scheiße, wir sind hier nicht so.“

Ich verkniff mir den Kommentar und sie planten bereits meinen nächsten Aufenthalt, all die Löwen und Inseln, die ich mir anschauen werde.

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Text Kredits

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Art Director - Author - Illustrator

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Maielin van Eilum

Credit

Dreamlike beauty: Moana Bee

Beauty on the sofa: not in the webcam business, but as a model Alyssa Nicole Pallett / Koons inspired / AozerBrigitteslips

Proofreading Nadia Ratti

Translator Ada Delsolco & Artemis Meereis

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